Ein neues Verhältnis von Intuition und Technik

Automatisierung ist im Marketing und in der Werbung einer der Megatrends der letzten Jahre. Dieser Trend wird auch ungebrochen weitergehen. Denn die Leistungen von Maschinen und Systemen, stellen das Vermögen von Menschen bei hochkomplexen Aufgaben und unter enormen Zeit- und Erfolgsdruck deutlich in den Schatten. Die gesamte Branche könnte also in absehbarer Zeit möglicherweise auch ohne Menschen auskommen… An einigen Stellen sind menschliche Fähigkeiten und Eigenheiten aber dennoch unersetzlich. Und erfolgsentscheidend. WeGoFive sprach mit Claas Voigt, Geschäftsführer des Performance Marketers Emetriq, genau über diese Fragen.

Idee und Kern des Performance Marketing ist die Erfolgsbewertung von geplanten oder laufenden Maßnahmen in Echtzeit oder zumindest innerhalb sehr kurzer Analyse- und Bewertungszeiträume. Dazu werden Key Performance Indikatoren (KPI) definiert, an denen die erwarteten oder laufend erhobenen Daten zu Kampagnen und deren Ausspielung gemessen werden. „Grundsätzlich geht es hier um die Optimierung vom Einkauf einer wie auch immer gearteten und gestalteten Medialeistung verglichen mit dem erwarteten Erfolg“, sagt Claas Voigt. Um das zu gewährleisten muss eine riesige Zahl von Abläufen zur Erkennung, Klassifizierung, Analyse und Prognose innerhalb von Sekunden oder gar Millisekunden bearbeitet und gemanagt werden: Das Checken von wichtigen Merkmalen für die jeweilige Kampagne oder Kommunikationsaktion, das Checken und Prüfen von potenziell passenden Angeboten im Markt, die Wettberechnung eines Seitenaufrufs beziehungsweise der Werbeausspielung und schließlich der Vergleich und die Priorisierung zur Entscheidung für die Ausspielung. Das alles kann nur maschinell und autonom geleistet werden. Deswegen ist Marketing Automation und der Einsatz verschiedener Technologien und Tools auf Basis von Künstlicher Intelligenz ein so großes Thema in der Branche.

De Anfänge des Performance Marketing und damit auch des Geschäfts von Emetriq liegen im klassischen Retargeting, also dem Wiedererkennen und „Verfolgen“ von potenziellen Kunden oder Internetnutzern, die zu einer definierten Zielgruppe gehören. Über die ständige Weiterentwicklung dieses Ansatzes in spezifischere Kriterien hat sich das heutige Performance Marketing entwickelt. Für die heutige Form des Performance Marketing sind eine Vielzahl an direkten Daten und indirekten Daten zu spezifischen Rahmenbedingungen vorhanden aus verschiedensten Quellen vorhanden. Diese riesigen Bestände müssen für jeden Kunden und jedes Ziel von autonomen Maschinen und Systemen immer wieder aufs neue abgeprüft und berechnet werden, um das Optimum zu erreichen oder zumindest in die Nähe zu kommen. Emetriq ist so in der Lage Zustände und Merkmale für die Optimierung von Werbung aus den gesammelten Daten zu definieren und zu prognostizieren; eine Technologie und ein Know How, das auch anderen Unternehmen als Dienstleistung zur Verfügung gestellt wird. „Entscheidend dabei ist die Qualität von sogenannten Seed Daten“für die Programmierung und Optimierung“, erklärt Voigt. „Das interessante hier ist: Maschinen identifizieren aus der Analyse der Daten Merkmale, die teils für Menschen verständlich sind, teils aber eben auch nicht, weil sie nach menschlichen Denkmustern nicht einfach ableitbar sind.“ Maschinen und autonome Systeme sind also nicht nur quantitativ dem Menschen bei solchen Aufgabenstellungen überlegen, weil sie einfach mehr Masse in viel kürzerer Zeit bearbeiten und bewerten können. Sie kommen auch qualitativ zu anderen Ergebnissen als Menschen, weil sie andere Muster und Zusammenhänge erkennen können. Ob diese erkannten Zusammenhänge und Korrelationen auch immer in Bezug auf das eigentliche Kommunikationsziel sinnvoll sind, ist dabei jedoch nicht immer so automatisch garantiert. Abr auch hier werden die Trefferquoten mit zunehmenden Datenbeständen und gespeicherten Erfahrungen immer besser.

Die Macht von autonomen Systemen ist bewiesen. Jetzt kommt das Verlangen nach mehr

Wenn dem so ist, stellt sich natürlich die Frage: Wo ist hier noch der Einsatz des Menschen? Was kann nicht mehr die Maschinerie entscheiden, weil es eben nicht nur um Optimierungen und Wahrscheinlichkeiten in Voraussagen geht?

Nach Meinung von Claas Voigt gibt es da immer noch einige Bereiche. Voigt: „Das Thema Brand Safety ist beispielsweise nicht eindeutig schwarz-weiß und in vielen Bereichen nicht eindeutig maschinell zu optimieren. Deswegen können Maschinen wohl auch in Zukunft nur schwer eine wirklich klare Aussage dazu machen“, so Voigt. „Deswegen müssen Menschen heute immer noch die letztliche Entscheidung treffen und sicher auch in Zukunft zumindest eine dauernde Nachkontrolle machen.“

Besonders wichtig sind deswegen sinnvolle Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine und zwischen Maschine und Maschine an, die jeweils abhängig von der Organisation und dem jeweiligen Business entwickelt und erprobt werden müssen. Hierbei taucht aber sehr häufig nach Meinung von Voigt ein Paradox auf. Die notwendigen menschlichen Entscheidungen und die Kontrolle von laufenden Systemen würden heute meistens eher von schlecht bezahlten und schlecht qualifizierten Menschen übernommen, beispielsweise gerade im Marketing bei Praktikanten, Werkstudenten oder Hilfskräften. Oder es sei in anderen Bereichen gerade anders herum. Hochqualifizierte und hoch bezahlte Menschen würden Systeme überwachen, die in den allermeisten Fällen auch problemlos ohne sie laufen würden, zum Beispiel Flugkapitäne. In den Dienstleistungsberufen und technisch geprägten Berufen werde sich hier also eine neue Arbeits- und Verantwortungsaufteilung herausbilden müssen, die zwischen diesen paradoxen Extremen liegen werde. Die Geschwindigkeit des Marktes und das mittlerweile obligatorische Echtzeitversprechen im Marketing, im E-Commerce und auch in vielen anderen Bereichen machten es letztlich unumgänglich, auch wichtige Entscheidungen an Maschinen abzugeben, so dass sich diese Frage der neuen Aufteilung ebenso unumgänglich stellen wird oder es schon längst tut.

Interesse daran, „die ganze Kette durchzuziehen“

Dabei sei diese Automatisierung in den meisten Fällen gar nicht unbedingt auf dem gleichen Level wie Künstliche Intelligenz. Letztlich sei die Basis des Geschäfts im Performance Marketing eher klassische Data Science, Statistik, Wahscheinlichkeitsberechnung und Optimierung, so Voigt. „Selbst unsere technischen Fachkräfte bezweifeln stark, dass es hier in den meisten unserer Anwendungen technische „Intelligenz“ gibt. Gerade ein solcher nüchterner und realistischer Blick sei aber vorteilhaft, wenn es darum geht, die Möglichkeiten und auch Grenzen von Technologien abzuschätzen.

Auch wenn es Grenzen für die Leistungsfähigkeit und den Einsatz von KI Systemen gibt (wie bei jeder Technologie), hätten Beispiele wie Cambridge Analytica allerdings eindrucksvoll gezeigt, wie mächtig diese Systeme und Technologien schon heute sind. Deswegen gebe es auch ein starkes Interesse und Bedürfnis „die ganze Kette durchzuziehen“, also die Wertschöpfungskette im Marketing und im CRM an allen möglichen Stellen zu optimieren und automatisieren. Die Gründe: Umfassendes Wissen und Sicherheit. „Unternehmen oder Marke können so ganz genau erkennen, wie der Zielkunde an einem bestimmten Touchpoint in einer bestimmten Situation gerade verfasst ist und wie er oder sie dann optimal angesprochen werden muss“, erklärt Voigt. Dieser Traum von Marketern in vorherigen Dekaden sei nun erreichbar und realistisch durch den Einsatz von KI basierten Systemen und die durchgehende Optimierung aller Stufen in der Wertschöpfungs- wie auch der Kommunikationskette.

Genau diese Entwicklung wird aber dazu führen, dass sich das Wesen von (Performance) Marketing und Werbung verändert. Und damit auch die Gesetzmäßigkeiten und die Geheimnisse des Erfolgs. „Werbung der Zukunft wird wohl ziemlich sicher so sein, dass der Algorithmus gar nicht mehr die Werbung oder Kampagne an sich steuert“, so Voigt  „Sondern das Handwerkszeug und das Business in der Kommunikation und Werbung ist am Ende darauf ausgerichtet, dass ich versuche diesen Algorithmus zu manipulieren, der die Werbeaussage steuert. Denn die Werbeaussage ist perfekt auf Dich zugeschnitten, und weil dass so ist, hat sie keine Varianz mehr. Wenn ich aber gerade Menschen in eine andere Welt ziehen und sie von Alternativen des Gewohnten und perfekt Passenden überzeugen will, dann muss ich das System angreifen, dass bisher optimal passende Aussagen ausspielt, um mich so in die Kommunikation und Wahrnehmung hineinzudrängen.“ Ein Beispiel dafür, dass Künstliche Intelligenz eben nicht nur als System und Tool Prozesse und Abläufe optimiert, sondern die Logik und Funktionsweise von Märkten und Geschäftsmodellen grundlegend verändert.

Eine neue Balance zwischen Technikvertrauen und menschlicher Intuition muss sich bilden

Was bei allen Veränderungen von Prozessen, Organisationen und ganzen Geschäftsmodellen stets der menschliche Vorteil oder USP bleiben werde, sei die emotionale Intelligenz, ist sich Voigt sicher. Aufgaben, die darauf beruhen oder aufbauen

werden in Organisationen wichtiger werden und müssten auch entsprechend abgebildet sein. Technische und verwalterische Aufgaben würden immer mehr und immer schneller von Maschinen und Systemen übernommen. „Das klassische Management von Kampagnen wird immer technischer und maschineller werden“, so Voigt. „Die Schnittstellen werden ebenfalls immer einfacher. Das bedeutet auch, dass die Anforderungen bezüglich der Ausführung und des Managements immer geringer werden.“  Das führe dazu, dass die Preise beziehungsweise die Zahlungsbereitschaften für die Auswahl und das Erstellen von Kampagnen und das Management ebenfalls stark fallen dürften. Als Folge davon würden Maschinen diese Tätigkeiten übernehmen, weil sie schneller, effizienter und unschlagbar kostengünstig bei diesen Aufgaben sind. „Und es gibt weitere Vorteile in dem Bereich“, sagt Voigt.  „Diese Systeme können entweder zuvor genau berechnen und „wissen“ sozusagen aufgrund der Datenlage sofort und genau, wie eine Kampagne aufgebaut oder ausgespielt werden muss. Oder sie probieren zunächst automatisch und begrenzt verschiedene erfolgswahrscheinliche Varianten aus und kommen anhand dieser Erkenntnisse, also Daten, dann sehr schnell optimieren.“ Durch die dann noch laufende Auswertung von historischen Daten und Livedaten aus dem Kampagnenzyklus würden diese beschriebenen Abläufe dann auch selbst immer perfekter.

Momentan seien im Marketing noch relativ viele Menschen mit ihren empatischen Fähigkeiten und Erfahrungen in alle möglichen Abläufe und Prozesse involviert, so Voigt.

„Vielleicht werden aber auch diese Aufgaben an Maschinen mehr und mehr übertragen, wenn einmal weniger Geld im Markt ist und gespart werden muss.“ Es ist also nicht nur die eine Frage der technischen Möglichkeiten, sondern auch des vorhandenen oder nicht vorhandenen Kostendrucks, wo und wie schnell KI Systeme ihren Siegeszug in bisher nicht besetzte Domänen antreten werden. „Die Mensch-Mensch-Kommunikation und das Kreative und künstlerische Entwickeln von Inhalten, Aussagen und Stimmungen wird weiterhin menschliche Domäne bleiben“, lautet Voigts Prognose. Detaillierter und genauer als diese eher generelle Prognose, lasse sich das aber auch nicht seriös voraussagen, weil auch die letzten Jahre immer wieder überrascht hätten und weil sich das in der Zukunft sicher nicht ädern werde. Wichtig sei darum eine gewisse Gelassenheit und Offenheit und die Bereitschaft, sich überraschen lassen zu wollen. Nur so könne letztlich die beste Mischung von Mensch und Maschine in der Kooperation gefunden werden. Die

Maschinengläubigkeit und Technikgläubigkeit von Menschen werde ein neues Verhältnis zur menschlichen Intuition finden müssen. Ein die Veränderungen an sich seien wie beschrieben und begründet unumkehrbar. Ähnlich wie die bisherige Industrialisierung, Technisierung und Mechanisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in der Vergangenheit. Allerdings  sieht Voigt in den aktuellen und künftigen Entwicklungen eine andere Qualität, als zu Zeiten der (schwer-)industriellen Maschinisierung. „Diese Maschinen wurde nicht von dem Malocher entworfen und erdacht, den sie überflüssig gemacht haben. Die Arbeitsplätze der einfachen und standardisierten Arbeiten wurden von Menschen einer anderen Hierarchie und einer anderen Tätigkeits- und Arbeitswelt wegrationalisiert oder überflüssig gemacht, die Maschinen und Prozesse neu definiert und entworfen haben“, erklärt Voigt. „Die da oben haben also mehr oder weniger Die da unten ihrer Jobs beraubt.“ Das sei heute anders. Jetzt sei es oft nötig, den Mut zu haben, sich selbst überflüssig zu machen und sich neue Aufgabenprofile zu suchen oder zu entwickeln, weil Maschinen und Systeme die Aufgaben der eigenen Hierarchie und des eigenen Tätigkeitsprofils besser und skalierender erledigen können. Eine neue Qualität, die vielen Unternehmen und Menschen in Unternehmen erst langsam dämmere und die viel umfassendere Folgen entfalten werde, als „nur“ die Einführung eines neuen technischen Supports.

Team WEGOFIVE
team@wegofive.net
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