Künstliche Intelligenz in der Medizin

Unser Bild der Medizin ist in erster Linie geprägt von Ärzten und Ärztinnen in weißen Kitteln. Weise Männer und Frauen, die ihr Wissen nutzen, um Menschen zu helfen. Das ist verständlich, denn über Jahrhunderte waren Mediziner die einzigen, die Krankheiten erkennen und behandeln konnten. Blicken wir aber heute in die Praxen und vor allem in die Krankenhäuser, dann finden wir einen sehr hohen Anteil an Technologie in der Medizin. Und das wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verstärken. Denn Künstliche Intelligenz kann und wird die Medizin auf ein neues Level heben.

Klar ist, dass Technologien und konkrete Anwendungen der Künstlichen Intelligenz praktisch in allen Bereichen und Phase der Medizin wichtige Rollen übernehmen werden. Das gilt für die Diagnose, als auch für die Behandlung, als auch für die Begleitung von Patienten (… und von gesunden Menschen). Die Aufgaben zwischen menschlichem Mediziner und Systemen und Maschine werden neu verteilt werden. Hier stellt sich dann die Frage nach dem Vertrauen in KI-Technologien in der Medizin. Dieses Vertrauen müssen zum einen die Mediziner mitbringen und entwickeln, denn es geht darum eigene Domänen an Systeme abzugeben. Dieses Vertrauen müssen genauso die Patienten entwickeln, denn bisher sind wir es gewohnt, Menschen und ihrem Urteil zu vertrauen. Jetzt muss dieses Vertrauen Maschinen entgegengebracht werden. Das ist nicht einfach. Vor allem, wenn es um die eigene Gesundheit, vielleicht sogar um Leben und Tod geht.

Diagnose – Informationsabgleich und Klassifizierung

Bei einer näheren und – soweit möglich – objektiven Betrachtung, spricht jedoch vieles dafür, dass wir dieses Vertrauen Systemen und Maschinen durchaus entgegenbringen können und werden. Das beginnt natürlich bei der Diagnose. Die besteht aus folgenden Schritten: Der Arzt nimmt Informationen auf. Der Patient erzählt, der Arzt hört zu. Der Arzt ordnet diese Informationen bisherigen Informationen zu. Diese bisherigen Informationen sind zum einen die allgemeinen Erfahrungen aus Studium, Weiterbildung und Praxis in medizinische Belangen, die der Arzt in sich selbst „gespeichert“ hat. Zum anderen sind diese Informationen die Daten des Patienten, seine Vorgeschichte, gespeichert in Akten oder Datenbanken. Aus diesem Abgleich zieht der Mediziner seine Schlüsse, indem er zuordnet. Das Ergebnis ist die Diagnose. Dieser beschriebene Prozess lässt sich zumindest prinzipiell sehr gut digitalisieren und entsprechend nachbauen. Voraussetzung dabei ist die Verfügbarkeit aller genannten Informationen in Form von verarbeitbaren Daten. Interessant wird es, wenn wir den Blick auf die Leistungsfähigkeit in diesem Prozess der Informationsverarbeitung und Zuordnung oder Klassifizierung richten. Menschen können nur eine relativ begrenzte Menge an Informationen verarbeiten. Was der Patient an Symptomen beschreibt ist durch seine Wahrnehmung begrenzt. Was davon beim Mediziner durch die Beschreibung des Patienten ankommt ist wiederum durch die Gesetzmäßigkeiten und natürlichen Mängel der menschlichen Kommunikation begrenzt.

Die Erfahrungen und das Wissen des Mediziners sind logischerweise auch begrenzt: Ein Arzt oder eine Ärztin kann nur einen minimalen Bruchteil aller in der Realität auftretenden Krankheitsfälle aus Theorie und Praxis kennen. Die weiteren Informationen aus der Vorgeschichte des Patienten sind ebenfalls begrenzt, vielleicht sind sie auch gar nicht vorhanden. Die Zuordnung des Mediziners in Bezug auf diese Informationen, also die Diagnose, ist zudem noch verzerrt, weil Menschen dazu neigen, neue Fälle in Kategorien einzuordnen, die sie besonders gut kennen und beherrschen. Die Bequemlichkeit des Menschen und unseres Gehirns, kann also dazu führen, dass vorschnelle und falsche Diagnosen gestellt werden, weil der Fall dann für den Mediziner „erledigt“ ist.   

Riesige Mengen an Daten für die individuelle Behandlung

KI Systeme dagegen können alle Biodaten des Patienten für eine Diagnose verwenden und einbeziehen, vorausgesetzt sie werden gemessen; nicht nur die, die ein Patient selber aus seiner Wahrnehmung mündlich beschreibt. Liegen auch historische Daten des Patienten digitalisiert vor, können diese auch sofort mit einbezogen werden. Der Abgleich dieser Informationen kann durch KI Systeme extrem schnell mit einer prinzipiell unendlichen Mange weiterer Daten von anderen Patienten, Krankheitsverläufen, Untersuchungen, Studien, Umweltdaten et cetera abgeglichen werden. Wenn ein KI System gut trainiert ist, steht die Diagnose innerhalb kürzester Zeit fest. Und zwar mit einer Fehlerrate, die geringer ist, als bei Menschen. Der Grund: Es handelt sich bei der Diagnose letztlich um eine Klassifizierung von Datensätzen. Und das ist sozusagen die ureigene Domäne von KI Technologien, insbesondere Machine Learning über sogenannte Recurrent oder Convolutional Neural Networks.

Das bemerkenswerte dabei ist, dass hier die Diagnose und die Behandlung am Ende viel persönlicher und individueller geleistet werden kann, obwohl zunächst im Diagnoseverlauf endpersonalisiert und generalisiert wird. Die „reinen“ Daten werden mit einer geradezu unendlich großen Menge weiterer entpersonalisierter Daten abgeglichen – und dann wieder in Bezug auf eine individuelle Person zugeschnitten ein- und angeordnet. Das wiederum ist die Basis für eine wirklich individuelle Behandlung des Menschen. Heute wird in den allermeisten Fällen sowohl mit Blick auf die Methoden, als auch mit Blick auf die Medikation mit Standards gearbeitet. Nicht umsonst stehen bestimmte Operationsmethoden, bestimmte Therapien und bestimmte Medikamente in der Hitliste der Verschreibungen und Durchführungen ganz oben. Dieser Ansatz des „One size fits all“ ist ja auch durchaus erfolgreich. Aber es gibt noch viel Potenzial und Bedarf der Individualisierung. Letztlich zum Wohle des einzelnen Menschen. 

Das gleiche lässt sich auch für, unter Umständen längere, Phasen der Behandlung postulieren. Mithilfe ständiger Begleitung und Beobachtung der Patientendaten, können KI Systeme über Predictive Analytics die laufenden Behandlungen immer wieder anpassen, in Bezug auf das Behandlungsziel optimieren und vorausschauend Vorschläge für die weitere Behandlung geben (Next Best Actions). 

KI unterstützt Entwicklung und Test von neuen Medikamenten

Auf einer höheren Ebene funktioniert das ebenfalls. Wenn es um die Entwicklung und Tests von Medikamenten geht, leisten Data Science, Künstliche Intelligenz und komplexe Modelle schon heute eine enormen Beitrag. Denn auch hier geht es letztlich um Identifikationen von Wirkstoffen und von Zusammenhängen, also um Klassifikationen. Über die genannten Technologien können die Entwicklungsprozesse und Testläufe dabei immer schneller realisiert werden. Und trotz der höheren Geschwindigkeit steigt die Verlässlichkeit und Zielsicherheit an. Würden Menschen vergleichbare Arbeit unter vergleichbaren Bedingungen machen müssen, so wären die Effekte genau umgekehrt. Die enormen Anstrengungen zur Entwicklungen von Medikationen und Impfstoffen im Zuge der globalen Corona-Pandemie 2020 geben einen beeindruckenden Ausblick auf die Leistungsfähigkeit Daten getriebener und KI gestützter Medizinforschung, die uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sicher im positiven Sinne überraschen wird.

Und das nicht nur bei der mehr oder weniger akuten Behandlung, sondern auch bei der Früherkennung und Vorwarnung. So haben wiederum KI gestützte Systeme durch das Aufspüren von Anomalien und veränderten Mustern in Datenbeständen von Personengruppen und lokalen Gesellschaften den Ausbruch der Covid19 Pandemie in der absoluten Frühphase erkennen können.

Menschen müssen die Ergebnisse der KI mit eigenem Wissen und Empathie erweitern

Bei allen Fähigkeiten und Leistungen von KI Systemen, wird der Arzt oder die Ärztin genauso wenig aus dem Spiel genommen, wie beispielsweise auch Menschen in der Forschung und Entwicklung oder der Behandlung von Patienten. Vielmehr kommt es auch hier, wie in andren Berufen auch, zu einer neuen und komplexeren Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. Künstliche Intelligenz hilft bei der Beschleunigung von Prozessen und bei der Bewältigung von großen Informationsmengen, die für Menschen nicht leitbar sein kann. Die Ergebnisse daraus müssen jedoch von Menschen interpretiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Das gilt im großen Maßstab, wenn es um das Verständnis von Zusammenhängen geht, die sich nicht in den Daten klar widerspiegeln. Zum Beispiel kulturelle Aspekte in unterschiedlichen Gesellschaften. Und es gilt im kleinen Maßstab von Mensch zu Mensch. So kann KI schnell und effizient die Biodaten einer Person auswerten – auf die Idee, den Patienten auch mal nach seinem aktuellen Arbeitsumfeld oder seinen familiären Umständen zu fragen, kommt dann aber eben (nur und hoffentlich) der Arzt als Mitmensch. 

Team WEGOFIVE
team@wegofive.net
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