Die Machtfrage – Bestimmt der Mensch oder die Maschine?

Die Motivation als Schlüssel für die erfolgreiche Integration von KI-Systemen

Die moderne Arbeits- und Wirtschaftspsychologie unterscheidet drei Typen von Motivation, die das Engagement von Menschen bei dem, was sie tun bestimmen und die ebenso bestimmend sind, ob und wie sich eine Person mit dem identifiziert, was sie tut. Leistungsmotivation, Anschlussmotivation und Machtmotivation. Wir alle kennen das, ob von uns selbst oder von unseren Kollegen und Mitarbeitern: Je nach den Umständen, sind wir mal mehr, mal weniger motiviert. Das ist also völlig normal und menschlich. Dabei hängt das auch immer von den Umständen ab. Worum geht es bei der Aufgabe? Wie viel Entscheidungsfreiheit gibt es? Wer ist wofür verantwortlich? Wie sieht die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine aus?

Interessant ist aus unserer Perspektive die Frage, ob und was sich bei der Motivation ändert, wenn die Maschinen in weiten Teilen autonom werden, selbst Entscheidungen treffen und Schlüsse ziehen können und wenn Maschinen Aufgaben übernehmen, die vorher zum integralen Bestandteil und der Definition von menschlicher Arbeit gehörten. Fördert das die Motivation und Identifikation? Oder hemmt es die Motivation und Identifikation? Und: Was muss ein Unternehmen tun, damit die erste Variante realisiert wird?

Die Leistungsmotivation

Abweichend vom alltagssprachlichen Verständnis ist ein Verhalten nur dann leistungsmotiviert im engeren Sinne, wenn es der handelnden Person um die Bewertung der eigenen Tüchtigkeit geht und sie sich dazu mit einem sogenannten Gütemaßstab auseinandersetzt (Heckhausen, Schmalt & Schneider, 1985, McClelland et al., 1953). Handlungsleitend sind die antizipierten selbstbewertenden Gefühle Freude und Stolz nach Erfolg beziehungsweise Enttäuschung und Beschämung nach Misserfolg. Diese Emotionen sind ihrerseits wiederum von den wahrgenommenen Ursachen für das jeweilige Leistungsergebnis abhängig. So führt ein Erfolg nur dann zu positiver Selbstbewertung, wenn man ihn auf internale, stabile Ursachen (z.B. die eigene Tüchtigkeit) und nicht auf externale, variable Ursachen (z.B. Glück) zurückführt. 

Wie sehr eine Person in einer gegebenen Situation Erfolg anstrebt beziehungsweise Misserfolg zu vermeiden trachtet, hängt von der Stärke ihres Leistungsmotivs ab, das allgemein als ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal verstanden wird – das heißt, man hat generell ein solches Motiv oder nicht. Es umfaßt die beiden antagonistischen Tendenzen „Hoffnung auf Erfolg“ und „Furcht vor Misserfolg“, die sich auf das Erleben von Stolz beziehungsweise auf der anderen Seite auf das Vermeiden von Beschämung richten. Je nach Überwiegen der einen oder anderen Komponente spricht man von Erfolgs- oder Misserfolgsmotivierung. Gemessen wird das Leistungsmotiv in erster Linie mit einem projektiven Verfahren, dem sogenannten Leistungs-TAT (TAT, Thematischer Auffassungstest), bei dem Probanden zu relativ unstrukturierten Bildkarten mit leistungsthematischem Inhalt (zum Beispiel Meister und Lehrling in einer Werkstatt) Phantasiegeschichten schreiben. Fragebogenverfahren sind weniger geeignet, da hier auch bewusst reflektierte Leistungswerte und -einstellungen zum Ausdruck kommen. Die Ausprägung des Leistungsmotivs beeinflusst verschiedene Verhaltensparameter. So setzen sich erfolgsmotivierte Personen in Leistungssituationen realistischere Ziele, sind ausdauernder und erbringen dabei höhere Leistungen als misserfolgsmotivierte Personen.

Die Anschlussmotivation

Das Anschlussmotiv kennzeichnet das Bedürfnis eines Menschen nach vertraut werden und gesellig sein mit anderen und den damit verbundenen Gefühlen von Zugehörigkeit und Geborgenheit. Unter Anschlussmotivation oder auch „Affiliationsbedürfnis“ versteht man also in der Psychologie einerseits die Hoffnung auf Anschluss, also der Erwartung eines befriedigenden, positiven Kontakts zu anderen Menschen, und zum anderen die Furcht vor Zurückweisung, also der Befürchtung, von anderen Menschen nicht gemocht oder von ihnen gar zurückgewiesen zu werden. Menschen unterscheiden sich  auch in der Stärke ihrer Motive, so dass nicht alle Menschen gleich stark anschlussmotiviert sind. Es gibt einerseits Menschen, denen nichts wichtiger erscheint als sich um positive Beziehungen zu anderen Menschen zu kümmern, während andere froh sind, im Alltag nichts mit Menschen zu tun zu haben. Das Anschlussmotiv wird aktiviert, wenn Menschen sich in Situationen befinden, in denen sie gesellige und vertraute Beziehungen herstellen können. Dabei stellen sich Affekte der Zugehörigkeit und Geborgenheit bei antizipierten positiven Beziehungen beziehungsweise der Zurückweisung und des Ausgeschlossenseins bei antizipierten negativen Beziehungen ein. Diese Affekte bestimmen die zukünftigen Handlungen und führen wiederum zu einem Aufsuchen oder eben andererseits Vermeiden entsprechender situativer Anreize.

Auf Grund der überlebensnotwendigen Funktion sozialer Beziehungen entwickelte sich bei Menschen daher ein angeborenes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Dieses fundamentale Motiv, von anderen Menschen akzeptiert und anerkannt zu werden, hat auch Einfluss auf Kognition, Emotion und Verhalten. Auch gibt es Unterschiede hinsichtlich der relativen Stärke der oben genannten Komponenten des Anschlussmotivs, denn manche Personen sind beim Kontakt mit anderen eher hoffnungsmotiviert, während andere eher furchtmotiviert im Umgang mit anderen Menschen sind.

Die Machtmotivation

Machtmotiviertes Verhalten ist dadurch gekennzeichnet, dass Individuen andere dominieren, über sie bestimmen und sozialen Einfluss auf sie ausüben. Bei vielen höher organisierten Arten und auch beim Menschen gehören Dominanz und Submission zur genetischen Ausstattung, wobei das Machtmotiv die motivationale Grundlage dafür bildet. Ein Hinweis auf diese genetischen Grundlagen liefert etwa die Beobachtung, dass die Rangposition männlicher Individuen häufig an den Reproduktionserfolg gekoppelt ist. Darüber hinaus ist Machtmotivation eng an das subjektive Wohlbefinden gebunden und somit ein entscheidender biologischer Fitnessmarker, wobei dieser antizipatorisch sein kann und somit wie ein Anreizmechanismus wirkt. Letztlich ist machtmotiviertes Verhalten auf das Ziel gerichtet, positive Emotionen durch Dominanz beziehungsweise Einflussnahme oder Prestige zu erlangen oder andererseits negative Emotionen, die durch Submission beziehungsweise Machtverlust entstehen können, zu verhindern.

Wie KI auf unsere Motivation wirken kann

Technologien der Künstlichen Intelligenz können nun auf alle dieser Motivationen wirken. Wie genau, das ist noch nicht bekannt. Das liegt schlicht und einfach an der Tatsache, dass KI erst seit kurzer Zeit und in noch begrenztem Umfang in Unternehmen und auch im privaten Umfeld eine Rolle spielt. Doch es ist klar, dass die Gegenwart von KI immer umfassender werden wird und das dieser Prozess weder vorübergehend noch reversibel ist. Deswegen ist es aber auch eine spannende und erfolgsentscheidende Aufgabe herauszufinden, mit welchen Effekten zu rechnen ist und wie man diese Erkenntnisse dann praktisch für die Gestaltung neuer Arbeitswelten und neuer Formen der Mensch Maschine Interaktion nutzen sollte.

Autonome Systeme und smarte Maschinen könnten negativ auf die Leistungsmotivation von Menschen wirken. Wenn Maschinen immer mehr Arbeitsaufgaben von Menschen übernehmen, wo und wie erkennen dann Menschen dann noch ihre Leistung? Worauf können sie stolz sein, wenn vieles oder alles von Algorithmen und neuronalen Netzen geleistet wird? Wird die Übernahme von Aufgaben und Tätigkeiten durch KI Systeme als Misserfolg wahrgenommen, weil der Mensch nicht mehr „gut genug“ dafür ist?

Vielleicht kann es aber auch anders sein. Wenn KI Technologien Menschen dabei helfen, schneller, effektiver und produktiver zu arbeiten, Menschen helfen, bessere Ergebnisse zu erzielen, könnte das Leistungserleben und der Stolz darauf auch vergrößert werden und die Motivation steigen. Könnte die Furcht vor Misserfolgen nicht gesenkt werden, wenn komplexe und umfangreiche Rechenaufgaben und Datenanalysen an Maschinen abgegeben werden, die in diesem Bereich einfach keine Fehler machen?

Ähnlich verhält es sich mit dem Anschlussmotiv. KI kann dazu führen, dass Menschen zunehmend den Kontakt zu anderen Menschen verlieren. Im Kundenkontakt, weil sich Intelligente Agenten als Intermediäre etablieren. Im Kontakt mit anderen Kollegen, weil Prozesse und Kooperationen zunehmend maschinisiert und automatisiert werden. Das wäre aber wiederum ein Segen für die Menschen, die eine geringe Anschlussmotivation aufweisen und ganz gerne den Kontakt zu anderen Menschen gering halten. Hier kommt es also darauf an, gerade bei der Implementierung von KI darauf zu achten, welche Typen von Mitarbeitern mit welcher Motivationsstruktur betroffen sind. Der Faktor Mensch gewinnt also hier kurioserweise – denn es geht doch vordergründig um technische Implementierungen –  umso mehr Gewicht. Wenn KI Menschen mit geringer Anschlussmotivation hilft, den Kontakt zu anderen Menschen effizient und sinnvoll zu verringern, dann wird deren Motivation und Produktivität steigen, so ist zumindest anzunehmen. Wenn KI dazu führt, dass Menschen mit hoher Anschlussmotivation von Routinetätigkeiten befreit werden und sich auf den direkten und individuellen Kontakt zu anderen Menschen konzentrieren können, dann wird dies auch deren Motivation und Produktivität erhöhen und damit auch Kunden glücklicher machen und den Erfolg des Unternehmens steigern.

Die entscheidende Frage nach der Macht

Und die Macht? Wer hat hier eigentlich Macht und wer dominiert wen? Die Maschine und das selbstlernende Netz dahinter, das so arbeitet und funktioniert, dass selbst Fachleute zugeben müssen, nicht wirklich bis ins letzte Detail nachvollziehen zu können, wie Ergebnisse zustande kommen? Oder ist es der Mensch, der das neuronale Netz und die lernende Maschine trainieren muss und der überhaupt erst das Ziel vorgibt, was denn wofür gelernt werden soll? Freuen sich Menschen mit geringer Machtmotivation, dass sie sich einer Maschine „unterwerfen“ und die Verantwortung abgeben können? Stürzen Menschen mit einer starken Machtmotivation in eine Krise, wenn sie erleben, dass ihnen immer mehr Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten von KI Systemen „weggenommen“ werden und damit ihre Macht und ihr Prestige gefühlt beschnitten oder gar zerstört wird?

Die Fragen und Zusammenhänge sind mindestens so komplex wie ein tiefes neuronales Netz, das für Deep Learning verwendet wird. Die richtigen Antworten zu finden, wird also aufwändig und anspruchsvoll. Interessanterweise können wir aber schon bei den Fragen erkennen, dass der Faktor Mensch und seine Motivation und Emotion, die entscheidende Rolle spielt – obwohl es hier doch auf den ersten Blick um ein technisches Thema geht. Und das ist Grund zu Optimismus und Antrieb zu Kreativität und Entdeckergeist, wenn es um die Arbeitswelt von morgen und übermorgen geht. Packen wir es an!

Verwendete Literatur

Dorsch, F., Häcker, H. & Stapf, K. H. (Hrsg.) (1994). Psychologisches Wörterbuch. Bern: Huber.

Heckhausen, H., Schmalt, H. D., & Schneider, K. (1985). Achievement motivation in perspective. New York: Academic Press.

Stangl, W. (2018). Stichwort: ‚Anschlussmotivation‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.

Team WEGOFIVE
team@wegofive.net
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